Freie Willensentscheidung
Erstellt von r.ehlers am Dienstag 12. April 2016
Unsere Gesellschaft für richtiges Essen und Lebensgestaltung e.V. trägt mit dem Hinweis auf unsere eigene Lebensgestaltung eine Qualität menschlicher Möglichkeiten im Namen, deren Realität nach allen Erkenntnissen der Wissenschaften nicht gesichert ist. Wenn immer und überall in der Welt das Prinzip von Ursache und Wirkung gilt, was wir tief im Innersten annehmen, wo bleibt da Raum für freie Entschließungen? Aber an eine lückenlose Determinierung unserer Entscheidungen wollen wir erst recht nicht glauben.
Naturwissenschaftliche Versuche des Nachweises des freien Willens oder seiner Widerlegung gab es schon immer reichlich in der Physik und der Biologie, in den letzten Jahren kommen sie vermehrt aus der Genetik und der Gehirnforschung. Hauptsächlich wird darüber aber seit je her und bis heute in den Geisteswissenschaften, vornehmlich der Psychologie, Philosophie (Noetik, Ethik) und Theologie gestritten.
Wikipedia: fMRT-Aufnahmen des aktiven Gehirns
Alle Bemühungen, die Existenz des freien Willens und die Möglichkeit der freien Willensentscheidung nachzuweisen oder zu widerlegen, so viel ist sicher, sind bis heute ergebnislos geblieben. Es spricht aber eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir mit dieser Frage die Grenzen menschlicher Erkenntnis überschreiten. Diese eigentlich nahe liegende Lösung, nämlich die Theorie von der Unlösbarkeit des Problems, wird seltsamerweise in den seit Jahrtausenden wütenden Streitereien über das Thema kaum einmal gesehen.
Die Rechtsordnung, die natürlich auch keine Beiträge zur Problemlösung bereithält, sah sich indes gezwungen, die Annahme der Existenz des freien Willens durch geltendes Recht verbindlich zu machen. In unserer Rechtspraxis muss daher jeder davon ausgehen,
dass der Mensch ein „geistig-sittliches Wesen“ ist, das von seiner Natur her darauf angelegt ist, „sich in Freiheit selbst zu bestimmen und zu entfalten.“
Dementsprechend hat das deutsche Bundesverfassungsgericht auch das strafrechtliche Schuldprinzip zum verfassungsrechtlichen Grundsatz erhoben. Erfreulicherweise hat es unser atavistisches und sinnfreies staatliches Strafensystem nicht auch noch mit einer solchen Ewigkeitsgarantie versehen (s.http://www.essenspausen.com/der-unsinn-des-strafens/).
Worum geht es hier?
Mir geht es in meinem kurzen Beitrag zum Menschheitsthema der freien Willensentscheidung nicht darum die ganze Historie des Themas auszubreiten. Mir geht es nur um zwei Dinge, nämlich
- auf einige neuzeitliche Ungereimtheiten hinzuweisen, die uns in der Literatur und in den Medien seit einigen Jahren hartnäckig verfolgen und
- darzulegen, dass es neben den theoretischen philosophischen Erkenntnissen zum Thema eine der praktischen Psychologie und der philosophischen Lebenskunst entspringende kluge und damit „richtige“ Sicht- und Handlungsweise dazu gibt.
Moderne Ungereimtheiten
Durch die neuzeitlichen „bildgebenden Verfahren“ können die Forscher erstmals in der Geschichte der Menschheit registrieren, welche Gehirnareale bei einem Probanden gerade aktiv sind. Damit werden zwar keine Gefühle, keine Gedanken und keine Willensentschließungen inhaltlich sichtbar oder verständlich. Man kann aber beobachten, wie in einem bestimmten Hirnareal zu einem bestimmten Zeitpunkt quasi „das Licht angeht“, indem eine Entscheidung aus dem Unterbewussten heraus kommend im Bewusstsein manifest wird. Zudem kann man erkennen, dass bestimmte Hirnareale dem Akt der Bewusstwerdung einer Entscheidung zwingend vorausgehen. Durch Studien hat man ermittelt, dass man genau 4 Sekunden vor dem Bewusstwerden sagen kann, dass jetzt eine Entscheidung sichtbar werden wird (Libet-Experiment, 1979).
In einfachen Versuchsreihen mit der Alternative, mit der linken oder der rechten Hand eine Taste zu bedienen, kann man sogar vorher sagen, ob die rechte oder die linke Hand eingesetzt werden wird, weil die motorischen Signale für die rechte Hand in der linken Gehirnhälfte gegeben werden und die für die linke Hand in der rechten (Alvaro Pascual-Leone, 1992). 2013 hat die Forschergruppe um John-Dylan Haynes am Berlin Center for Advanced Neuroimaging durch Rückschlüsse aus den aktiven Hirnarealen nachgewiesen, dass auch Entscheidungen bei der Auswahl abstrakter Denkaufgaben (z.B. Rechenaufgaben) eine zeitlich vorausgehende Hinraktivität aufweisen.
Kritik
Die Schlussfolgerung vieler Experten aus den Ergebnissen der genannten Beobachtungen der Gehirnforscher, dass damit der freie Wille in Frage gestellt würde, wird seltsamer Weise kaum kritisiert. Woher kommt aber überhaupt die Vorstellung, dass nur eine rational kontrollierte Entscheidung, die von eenem Menschen ausgejt, frei sein könne? Es ist doch immer allein sein eigenes Unterbewusstes, das tätig geworden ist. Statt grundlegender Kritik am Ausgangspunkt wird erklärt, dass nicht sicher sei, ob nicht nach der unbewussten Entscheidung im Vorgang der Bewusstwerdung noch eine freie Entscheidung stattfinden könne, die die bisherige Entwicklung aufgibt und dann vielleicht genau das Gegenteil von sich gibt.
Dabei ist es bereits eine völlig abwegige Grundannahme, dass es eine unbewusste Entscheidung im Gehirn gäbe, die der bewussten Abgabe der Entscheidung voraus ginge. Der Mensch als emotional operierendes und denkfähiges Selbst trifft in allen diesen Fällen die Entscheidung unter Nutzung aller seiner mentalen Fähigkeiten. Es ist doch eine ausgemachte Schnapsidee, von der nicht ins Bewusstsein dringenden unbewussten Vorbereitung der dann ins Bewusstssein dringenen Entscheidung einer Person darauf zu schließen, dass die Entscheidung dieses Menschen nicht frei, sondern fremdbestimmt sei! Auch eine Entscheidung im Unbewussten, die nie ins Bewusstsein dringt, etwa im Traum, ist eine freie Entscheidung des einzelnen Menschen. Die Herausstellung eines unbewussten Entscheidungsmechanismus im Menschen in Opposition zu den logischen Entscheidungsmechanismen beruht auf einem völlig überholten Menschenbild.
Der richtige Umgang mit der Frage der freien Entscheidung
Tatsache ist, dass es mit der Frage der Freiheit der Willensentscheidung fast so ist wie mit der Frage nach dem Jenseits und dem Leben nach dem Tode. Wir wissen einfach nicht einmal, ob unsere Frage überhaupt einen Sinn macht, erst recht können wir sie nicht beantworten.
Es macht aber Sinn, analog zur Kantschen Ethik davon auszugehen, „als ob“ wir in der Entscheidung frei wären. Es entspricht unserer kulturellen Tradition, von dem Menschen als einem mit Emotion und Verstand gesegneten Wesen auszugehen, das ohne unüberwindlichen äußeren Zwang aus der Tiefe seines Wesens seine Entscheidungen frei trifft. Natürlich ist unser Wesen vielfach bestimmt durch viele äußere, auch sehr weit zurückliegende, Einflüsse, die einschließlich unserer Gene unsere Persönlichkeit geprägt haben und in unsere Willensbildung und Willensäußerung einfließen. Wie sehr sie im Zeitpunkt einer aktuellen Entscheidung aber (noch) bestimmend sind und welchen Einfluss unsere eigenen laufenden Bemühungen um das Verständnis der Welt und unserer selbst den Ausschlag für unsere Willensbildung und unsere Handlungen haben, ist nicht auszumachen.
Rein logisch gesehen kann man in die messbaren Gegebenheiten einen totalen Determinismus-Fatalismus hineinlesen. Wer aber sagt uns, dass unsere Logik wirklich das einzige Werkzeug ist, mit dem die Realität zu messen ist? Wir erleben uns einfach anders, lassen Sie uns daher – auch ohne den Anspruch auf die ewig gültige Richtigkeit der Erkenntnis zu erheben – das uns mit diesem Erleben gewährte Selbstverständnis akzeptieren!
Donnerstag 14. April 2016 um 13:13
[…] Freie Willensentscheidung […]